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Der Schweizer Weg zur Knechtschaft

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Von Christian Zulliger (Freiheitskeime 2014) – Immer wieder werde ich in meinem libertären Umfeld auf die aus freiheitlicher Sicht vorbildliche Organisationsform der Schweiz angesprochen, dass die Schweiz sehr föderalistisch aufgestellt sei und die dezentral und subsidiär organisierten Einheiten (Bund, Kantone und Gemeinden) einen institutionellen Wettbewerb, ja gar ein race-to-the-bottom zuliessen. Hierbei wird immer auf den vorbildlichen Steuerwettbewerb verwiesen und dass wir noch immer viel politische Meinungsbildung und Autonomie auf Stufe der Gemeinden hätten. Die dezentrale Ordnung der Schweiz als ein Garant für mehr individuelle Freiheit und Wettbewerb der Regionen? Ich möchte aufzeigen, dass dieses Bild der Schweiz leider nicht mehr gültig ist und auch hierzulande kräftig immer mehr Kompetenzen an den Zentralstaat wandern. Ein kleiner geschichtlicher Abriss des Zentralisierungsvorgangs, der Anfang vom Ende einer einst doch recht liberalen Gesellschaftsordnung in der Schweiz.

Den Weg hin zum aktuellen modernen zentralistischen Zwangsumverteilungs-Bundesstaat möchte ich unterteilen in die Zeit des Helvetischen Einheitsstaats, des modernen Staatenbundes, der Zeit der Restauration sowie die Zeit des Schweizer Bundesstaates.

Die Geschichte der Zentralisierung der Schweiz im Sinne eines Einheitsstaates begann am 12. April 1798 in Aarau. Die Schweiz vor 1798 war ein loser Staatenbund, ein Bündnisgeflecht, bestehend aus souveränen Einzelstaaten. Ein Staatsdenken in normativen Prinzipien oder gar eine Staatstheorie existierte in dieser Ordnung nicht.

Helvetischer Einheitsstaat (1798-1803)

Die dezentrale Ordnung der Schweiz vor 1798 wird schon dadurch klar, dass die Revolution entgegen vielen anderen Staaten kein nationales Ereignis war. Vielmehr war es eine heterogene Serie von Ereignissen auf kantonaler Ebene. Dies änderte sich im April 1798 mit der helvetischen Verfassung. Ein Einheitsstaat nach dem Vorbild der Jakobiner-Verfassung von 1793 wurde geschaffen. Unter dem Einfluss der Gewaltentrennung nach Montesquieu wurden die Kantone zu Verwaltungseinheiten gemacht, sie verloren ihre ursprüngliche Eigenschaft der souveränen Einzelstaaten. Die exekutive Macht wurde zentral von fünf Personen ausgeübt. Es gab bereits eine zweigeteilte Legislative, zudem wurde ein oberster Gerichtshof installiert. Die rein repräsentative Demokratie war neu für die sich vorher selbst verwaltenden (Lands-) Gemeinden.

Der helvetische Souverän gab alle politischen Kompetenzen über Wahlmänner den parlamentarischen Repräsentanten, die dann wiederum die Exekutive wählten. Die Exekutive bestimmte, welche Beamten bis auf die Gemeindeebene eingesetzt wurden. In Folge der Zentralisierung wurden die Innerschweizer Orte Uri, Zug, Schwyz und Unterwalden zum Kanton Waldstätte zusammengefasst und sämtliche 18 Kantone waren plötzlich keine autonomen Kleinstaaten mehr, sondern lediglich Verwaltungseinheiten. Glarus ging zusammen mit früheren Gemeinen Herrschaften in den erweiterten Kanton Linth, und Appenzell wurde in den Kanton Säntis verwandelt. Alle übrigen Untertanengebiete bildeten Thurgau, Baden sowie Bellinzona und Lugano (die dann wiederum 1802 zum Kanton Tessin zusammengefasst wurden). Aus den drei Bünden entstand der Kanton Rhätien und das Wallis kam bis 1802 ebenfalls in die Eidgenossenschaft. Zudem wurde zusätzlich Französisch und Italienisch als offizielle Landessprachen anerkannt. Der grosse Kanton Bern wurde infolge der territorialen Neuordnung in vier Teile aufgeteilt. Biel, Neuenburg, Gebiete des Bistums Basel, Genf, Bormio und das Veltlin wurden abgetrennt, und das Wallis wurde zu einer französischen Schwesterrepublik gemacht. Mit der beschriebenen Helvetik wurde die Voraussetzung für den Bundesstaat geschaffen. Schweizer Geschichtenschreiber nennen als grosse Errungenschaften der Helvetik die entstandenen aktiven Bürgerrechte und die allgemeine Rechtsgleichheit. Gerichtsverfahren sollten öffentlich sein und die klaren, zentralisierten Instanzwege versprachen mehr Schutz vor richterlicher Willkür der staatlichen Juristiktionen. Es wurde die Handels- und Gewerbefreiheit eingeführt, die jedoch sogleich mit einem staatlichen Postsystem und einem staatlichen Währungssystem gebrochen wurde.

Die Auseinandersetzungen ab 1800 hatten vorwiegend den Staatsaufbau im Kern, die Unitarier forderten mehr Einheitsstaat, die Föderalisten forderten eine Bundesstruktur, die den Kantonen und Gemeinden mehr Autonomie zugestehen sollte. Die zu Beginn der Helvetik abgeschafften Feudalabgaben wurden kurz vor Verkündung des Staatsbankrotts 1801 wieder eingeführt. Dies führte zusammen mit kirchenfeindlichen Massnahmen, obligatorischem Militärdienst und nicht zuletzt mit der verlorenen Gemeindeautonomie zu mehreren Aufständen im Volk. Es erscheint also nicht erstaunlich, dass die Unitarier 1802 schliesslich in der ersten schweizerischen Volksabstimmung mittels einer neuen Verfassung ihren Einheitsstaat festigten wollten. Doch im Februar 1803 sorgte Napoleon schliesslich mit der Mediationsverfassung für die erste moderne staatenbündische Verfassung der Schweiz. Damit schritt die Schweiz hin zu einem modernen Staatenbund, der, schon damals als typisch schweizerischer Kompromiss, den Unitariern die Abschaffung der Privilegien der Ständegesellschaft ermöglichte und zudem den Föderalisten die Auflösung der Zentralregierung und die Wiederherstellung der Kantonssouveränitäten in Aussicht stellte.

Moderner Staatenbund (1803-1815)

Die wesentliche Neuerung in der Zeit des modernen Staatenbundes hinsichtlich Zentralisierungsvorgang war die von der Mediationsakte geregelten Verfassungen aller Kantone und die administrative Unterteilung in Bezirke. Zu Beginn des neuen Staatenbundes organisierten sich die Stände als zentralistische, nur beschränkt gewaltenteilige Repräsentativdemokratien. Die Kantone erhielten ihre Souveränität zurück und die Veränderungen der Helvetik blieben nur in den sechs zwischen 1798 und 1803 geschaffenen Kantonen verankert. Zudem wurde von Napoleon ein Landmann der Schweiz eingesetzt, der die aussenpolitische Führung sicherstellen sollte und alleiniges Staatsoberhaupt war. Dieses Amt wurde ausschliesslich von Vertretern der sechs Direktorialkantonen (Freiburg, Basel, Bern, Zürich, Solothurn und Luzern) belegt, in Zeichen dafür, dass die dort bestimmenden Ratsfamilien auch im modernen Staatenbund die Macht für sich beanspruchten. Insgesamt war die Mediationszeit eine aus ordnungspolitischer Sicht ruhige Zeit, jedoch mussten viele Schweizer Söldner in Napoleons Armeen in Russland und Spanien kämpfen. Die Mediationsakte wurde Ende 1813 aufgehoben. Zwischen April 1814 und August 1815 wurde dann ein Bundesvertrag ausgearbeitet, der im September desselben Jahres ohne Volksabstimmung angenommen wurde. Die Kantone Genf, Neuenburg und Wallis kamen wieder zur Schweiz hinzu, die sodann aus 22 Kantonen bestand.

Restauration (1815-1848)

Im Gegensatz zum Geflecht von Bündnissen vor der Helvetik war der Bundesvertrag ein erstes umfassendes Abkommen, welches souveräne Kleinstaaten (Kantone) vereinte. Es gab keine zentrale Institution, lediglich eine Tagsatzung, die von Zürich, Bern und Luzern geleitet wurde. Es gab einen eidgenössischen Kriegsrat und eine gemeinsame Kriegskasse. Die einzelnen Kantone betrieben wieder weitgehend autonome Politik. Der Druck des Auslandes war gross und es mussten auch ausländische Schutzzölle hingenommen werden. Zudem waren militärische Interventionen des Auslandes zu befürchten. Dennoch wurde die Garantie der individuellen Freiheitsrechte den Kantonen überlassen. Schon damals waren die Kantone souverän, nicht das Volk. Es dauerte nicht lange, bis die Kantone sich auf die individuellen Freiheitsrechte stürzten. Zudem konnten die Kantone auch mit anderen Staaten Bündnisse eingehen, solange diese keiner Benachteiligung der anderen Kantone oder des Bundes gleichkamen. Interessant erscheint, dass der aufkommende Nationalgedanke nicht direkt institutionalisiert wurde durch die Schaffung einer zentralen Verwaltungsinstanz, sondern durch zahlreiche Vereine, wie etwa dem Schweizerischen Schützenverein, der Eidgenössische Turnverein und ähnliches. 1830 erfasste schliesslich die liberal-republikanische Welle die Schweiz. Dennoch beschloss die Tagsatzung, sich nicht in die Verfassungen der Kantone einzumischen. Elf Kantone legten neue Verfassungen dem Volke zur Abstimmung vor. In einzelnen Kantonen kam es zu teils blutigen Auseinandersetzungen zwischen Reformern und Anhängern des Ancien Régime. Eine Reform auf Bundesebene scheiterte, auch einen Ausbau der Bundesgewalt verhinderten die Kantone. Mit dem Rossi-Plan kam es zu einer gewissen wirtschaftlichen Zentralisierung. Die Bundesurkunde wurde modifiziert und in zehn Kantonen angenommen. Insgesamt scheiterte die Reformation jedoch, als Luzern den Landeshauptsitz ablehnte. Es folgte eine Zeit von Konflikten, die auf die verschiedenen Konfessionen zurückgingen, bis schliesslich im Dezember 1845 die katholischen Kantone miteinander den Sonderbund, ein Defensivbündnis, eingingen. Dieses Bündnis sollte dem Schutz des Bundesvertrags dienen. Der Tagsatzung wurde faktisch die Handlungsfähigkeit entzogen und erst ein gutes Jahr später wurde der Sonderbund zur Auflösung gezwungen, da er gegen den Bundesvertrag verstiess. Nach dem darauf folgenden Sonderbundskrieg unter der Leitung von General Dufour wurden die Sonderbundskantone zu Neuwahlen gezwungen. 1848 brach in Paris die Februarrevolution aus, die nicht zuletzt auch von der erfolgreichen liberalen Bewegung in der Schweiz inspiriert wurde. Zur gleichen Zeit begann eine Kommission mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung, im Juni wurde sie von der Tagsatzung akzeptiert. Die Abstimmungen endeten mit 15 ½ zu 6 ½ Kantonen und schon im September wurde die Verfassung für angenommen erklärt. Innerhalb weniger Monate war also ein neuer Bundesstaat geschaffen worden.

Schweizer Bundesstaat

Die Verfassung des Schweizer Bundesstaates war ein Bruch mit der Vergangenheit. Der zentrale Sitz wurde in Bern geschaffen. Die Legislative wurde zweigeteilt in eine Volksvertretung (Nationalrat) und in eine föderalistische Komponente, dem Ständerat. Es wurde ein Bundesrat mit sieben Sitzen bestellt, dessen einzelne Mitglieder jeweils einem Departement vorstanden. Bundesgesetze bedurften der Zustimmung beider Kammern. Zudem wurden die Gerichte zentralisiert, ein Bundesgericht verfassungsmässig aufgestellt.

Im Falle von Streitigkeiten unter den Kantonen wurde dem Bund die Entscheidungsgewalt zugeteilt und die Kantone mussten per sofort für ihre Verfassungen die Gewährleistung beim Bund ersuchen. Sie waren nunmehr nur noch soweit souverän, als dass die Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt sei. Dass eine derart beschränkte Souveränität keine wirkliche Souveränität ist, ist klar, zumal die Bundesversammlung darüber entscheiden konnte, was in den Aufgabenbereich des Bundes oder der Kantone fällt. Den Kantonen blieb ein überwiegender Teil der Rechtssprechung, des Steuerrechts, Polizei, Verkehr und die Schulhoheit. Der Bund übernahm die Beförderung gemeinsamer Wohlfahrt, äussere Sicherheit, Unabhängigkeit, Neutralität, die innere Sicherheit und die Kompetenz, öffentliche Werke zu errichten. Damit war auch klar, dass der Bund verantwortlich wurde für einen Teil des Strassenbaus und für die Eisenbahn. Mit der Verfassungsrevision 1874 wurde dem Bund auch die Zivilrechtsgesetzgebung hinsichtlich Obligationenrecht als Kompetenz zugesprochen. 1898 schliesslich wurde diese Kompetenz aufs gesamte Zivilrecht ausgeweitet und 1912 mit der Einführung des ZGBs die Privatrechtsordnung komplett zentralisiert. Die Militärverwaltung blieb noch bis zur ersten Verfassungsrevision Sache der Kantone, bis schliesslich 1874 auch diese Kompetenz an den Zentralstaat abgegeben wurde und sich in der Folge die Militärausgaben des Bundes verfünffachten. Die aussenpolitische Vertretung wurde schon 1848 Sache des Bundes, der damit die Kompetenz für alle Verträge mit dem Ausland innehatte. Auch innenpolitisch mussten die Kantone Kompetenzen abtreten, da nun der Bund die „erforderlichen Massnahmen treffen“ musste (Art. 16 BV 1848). Die wichtigsten Einkünfte des Bundes waren Zölle und Matrikularbeiträge sowie die Staatspost. Erst 1915 durfte der Bund direkte Steuern erheben und erst 1940 auch Mehrwertsteuern. Die innerkantonalen Zölle wurden 1850 abgeschafft. Auch das Münzwesen wurde vereinheitlicht und obliegte nun dem Bund. Die Kantone erhoben Alkoholsteuern und direkte Steuern, vor allem in Form von Vermögenssteuern. Den Föderalisten wurde diese Ausweitung der Bundeskompetenzen allmählich zu viel und so erreichten sie 1874 das fakultative Gesetzesreferendum und konnten nunmehr die raschen Zentralisierungsschritte etwas abbremsen. Dennoch: Der Drang nach Einheit überflügelte in einer Zeit des Nationalismus den Drang nach Freiheit. Im Ausland spottete man über die föderalistischen und demokratischen Werte der Schweiz. 1890 wurden erste Teile der sozialen Sicherheit an den Bund übertragen, indem er die Gesetzgebungskompetenz über Kranken- und Unfallversicherung bekam. 1905 wurde die Geld- und Währungspolitik mit der Schaffung der Schweizerischen Nationalbank vereinheitlicht und die Kantone wurden am Gewinn beteiligt, damit sie für die Abschaffung der Notensteuern entschädigt waren.

In den Kriegsjahren bekam der Zentralstaat eine faktische Vollmacht, die sich jedoch nie in der Verfassung verankerte. Nach dem ersten Weltkrieg wurde die eidgenössische Alters-, Hinterlassenen, und Invalidenversicherung erschaffen, die Geburt des Sozialstaats. Erst nach dem zweiten Weltkrieg wurden dem Bund verfassungsmässig weitere Aufgaben zugeteilt, zu nennen sind insbesondere das eidgenössische Spielbankenverbot, die Kontrolle des Kriegsmaterials, die Abwehr der Überfremdungsgefahr, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Mutterschaftsversicherung. Des Weiteren wurde aber auch hinsichtlich Naturschutz, Heimatschutz, Mieterschutz, Konsumentenschutz und Preisüberwachung zentralisiert und zudem als letztes wichtiges Element 1978 das Geldmonopol mit einem Konjunkturartikel ergänzt. In den letzten 30 Jahren sind diese Kompetenzen lediglich noch verfeinert worden, im Wesentlichen gab es aber keine neuen Kompetenzen mehr zu zentralisieren.

Von autonomen Gemeinden kann heute nicht mehr gesprochen werden, durch kantonale Finanzausgleiche werden die Kommunen kontrolliert und geknechtet, auch der kantonale Steuerwettbewerb wird durch einen perfiden nationalen Finanzausgleich plattgemacht. Rund ein Drittel der neuen Gesetze werden direkt von der EU übernommen. In der Geschichte der Schweiz wurde nie wirklich aktiv dezentralisiert, auch die liberalen Kräfte vermochten es bestenfalls den Zentralisierungsvorgang zu verzögern, niemals aber wurde der Staat zurückgedrängt oder die Bevormundung abgebaut. Die heutige Schweiz als ein Vorbild dezentralen Staatsbaus? Nein, sie wurde lediglich weniger schnell zentralisiert als andere Staaten.

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Christian Zulliger, Jg. 1987 lebt in Zollikon in der Schweiz. Er studierte Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen (HSG) und arbeitet nach Stationen in der internationalen Managementberatung für einen Rohstoff-Hedgefund in der Schweiz. In seiner Freizeit fährt er mit dem Motorrad gerne um die halbe Welt, schraubt an seinen Oldtimern oder trinkt und raucht zu viel. „Zulli“ ist einer der treibenden Köpfe der libertären Bewegung in der Schweiz, Gründer des ersten Ablegers der Hayek-Gesellschaft in Zürich, Initiant eines Austrian-Seminars in Zürich und Autor beim Schweizer libertären Blog Zuercherin.com und bei Freitum.de.

Bild: Rheinfall, Neuhausen

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